Initiative Stolpersteine Burgsteinfurt
Denkanstöße zu den bundesweiten Feiern
Im Jahr 2021 feiert Deutschland 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. In vielen Orten unserer Republik fanden bereits viele Veranstaltungen statt und auch in Burgsteinfurt haben verschiedene Initiativen ein breites Spektrum an Veranstaltungen auf die Beine gestellt. Aber kann man, wenn man kritisch die vergangenen 1700 Jahre zurückblickt, überhaupt von einer gemeinsamen Kultur sprechen? Oder beruhigen wir dadurch nicht nur einfach unser Gewissen? Hierzu ein paar Denkanstöße:
Judentum oder Deutschland, was war zuerst da?
Historisch gesehen müssen wir uns eingestehen, dass die Juden in einigen Gebieten viel früher lebten als Deutsche. Was sich zunächst etwas komisch anhört, basiert auf historischen Fakten: Nach ihrer Vertreibung kamen viele Juden mit den Römern in unsere Gebiete und ließen sich dort auch in deren Städte nieder. Kempten, Augsburg, Speyer, Worms, Mainz, Trier, Koblenz, Andernach, Bonn, Köln, Neuss und Xanten waren Städte, die von den Römern gegründet wurden, während in dem später als Deutschland bekannten Gebiet noch unzählige Stämme der Germanen lebten. Dass Juden in den Dörfern dieser Stämme gelebt haben, ist eher auszuschließen und somit kann man also zumindest für einen nicht unwesentlichen Teil unseres heutigen Gebiets sagen: Juden waren schon früher da.
Ist das Judentum seit 1700 Jahren ein Teil unserer Kultur?
Auch wenn wir wünschten, dass diese These zutreffen würde, so muss man sich doch eingestehen, dass diese Aussage nicht zutrifft. Es dauerte nach ihrer ersten Ansiedlung in unserem Gebiet im Jahre 321 n. Chr. ganze 1500 Jahre und unzählige blutige Pogrome, bis sich die Situation der Juden merklich besserte. Und erst weitere knapp 50 Jahre später, also zur Gründung des Kaiserreichs im Jahre 1871, waren Juden ihren christlichen Nachbarn wirklich gleichgestellt. Erst ab diesem Zeitpunkt kann man davon reden, dass die Juden wirklich von ihren Nachbarn als Teil einer gemeinsamen Kultur angesehen wurden. Diese Situation hielt anschließend ganze 62 Jahre an, dann folgte das dunkelste Kapitel unserer Geschichte, das Dritte Reich. Auch nach dem Krieg waren die wenigen Überlebenden Juden, die zurückkehrten, nicht wirklich gern gesehen. Man neidete den Überlebenden die Bevorzugung bei der Wohnungssuche und der Lebensmittelversorgung. Erst in den folgenden Jahrzehnten sollten sich wieder in Deutschland in verschiedenen Städten jüdische Gemeinden bilden, die aber selbst heute noch nicht das Vorkriegsniveau erreicht haben. Und durchweg waren jüdische Einrichtungen und jüdische Personen, die sich zu ihrer Religion bekannten gefährdet. Das änderte sich bis heute nicht. Im Gegenteil: Auch heute noch müssen Synagogen beschützt und gesichert werden. Attentate oder Angriffe nehmen merklich zu. Juden, die sich offen zu erkennen geben, erleiden nicht selten physische und verbale Gewalt. Aktuell geht man von fünf antisemitischen Straftaten am Tag aus. Die meisten werden nicht verfolgt und bestraft.
Die Geschichte der Juden in Burgsteinfurt
Burgsteinfurt kann insgesamt nur auf eine 340-jährige Geschichte von Juden in unserem Ort zurückblicken. Wir möchten Sie hier in kurzen Punkten wiedergeben:
1287
In Münster ereignet sich ein Pogrom, dem der Großteil der knapp 100-köpfigen Gemeinde zum Opfer fällt. Einige Überlebende flüchten nach Burgsteinfurt, das nicht zum Bistum Münster gehört. Es ist die erste Ansiedlung von Juden in unserer Stadt.
1337
Der Burgsteinfurter Jude Minnemann, gebürtig anscheinend aus Köln kam und über Münster im Jahre 1287 nach Burgsteinfurt gekommen war, verzieht nach Coesfeld. Coesfeld hatte, anders als Burgsteinfurt zu jenem Zeitpunkt bereits das Stadtrecht erhalten. Der Umzug wird vom Bischof von Münster gegen den Willen der Coesfelder Bürger initiiert. Nach dem Wegzug scheint nur noch eine jüdische Frau in Burgsteinfurt gelebt zu haben.
1347
Burgsteinfurt erhält vom Kaiser das Stadtrecht. In der ersten Urkunde über die Bürger, die sich das Bürgerrecht leisten konnten, findet sich auch eine Heyleken, die Jüdin. Ob sie die einzige Jüdin war oder ob es noch Juden ohne Bürgerrechte gab, ist uns nicht bekannt.
1349
In ganz Europa ereignen sich Pogrome gegen die jüdischen Gemeinden. Der Grund war die Pestwelle, die sich ausbreitete und für die wie so oft die Juden verantwortlich gemacht wurden. Man behauptete, die Juden hätten die Brunnen vergiftet, obwohl der Erreger durch Ratten per Schiffe aus Nahost nach Europa kam. Auch in Burgsteinfurt scheint es zu einem Pogrom gekommen zu sein. Jedenfalls sind nach 1347 keine schriftlichen Belege mehr für eine Ansiedlung von Juden aufzufinden.
1568
Der erste jüdische Friedhof auf der Adelinkstege (heute die Meteler Stiege, möglicherweise am Platz des heutigen letzten Friedhofs), wird nach Rücksprache mit dem Steinfurter Grafen von dessen Verwalter eingeebnet.
1662
Im April 1662 stellt der Graf dem Juden Samuel Mayer einen Schutzbrief aus, drei Monate später kommt mit dem Juden Gottschalck ein weiter Jude nach Burgsteinfurt. Beide waren Viehhändler, Metzger und Geldverleiher. Sie sollen mit Krediten die Stadt und dem Grafenhaus nach dem 30-jährigen Krieg wieder auf die Beine helfen.
1666
Burgsteinfurt wird für die folgenden 50 Jahre von Truppen des Bischofs von Münster besetzt. Infolge dessen kommt es für über 50 Jahre zu keinem Zuzug einer dritten Familie.
1724
Eine dritte Familie zieht nach Burgsteinfurt und setzt den Zuzug weiterer Familien in Gang.
1749
In Burgsteinfurt leben mittlerweile ausreichend männliche Juden in Burgsteinfurt, dass man einen Gottesdienst abhalten kann. Eine der ersten Betstuben befindet sich im Haus auf der Wasserstraße 1 (heute Cafe Bistro Niveau).
1756
Der Graf bietet der jüdischen Gemeinde den Bau einer Synagoge auf der Kautenstege an. Er will die Hälfte des Betrags von 1000 Taler gegen eine unablösliche Schuld (also für immer) von 5% Zinsen/jährlich finanzieren. Die Gemeinde nimmt den Vorschlag an.
1763
Erst mit sieben Jahren Verspätung startet der Bau der Synagoge. Grund war der siebenjährige Krieg, der das Vorhaben hintenanstellen ließ. Der Bau begann gegen den großen, aber letztlich erfolglosen Widerstand der Stadt.
1764
Im April übergibt der Graf der Stadt die Synagoge an die Gemeinde, die kurz darauf darin ihr erstes Pessach feiert.
1780
Die erste jüdische Familie schafft es, ein Haus in Burgsteinfurt zu kaufen. Es bleibt knapp 100 Jahre im Besitz der Familie Feibes bzw. Blumenfeld.
1812
In Burgsteinfurt leben mittlerweile 21 jüdische Familien. Von den anwesenden 145 Personen waren 75 weiblich und 70 männlich. Es gab 90 erwachsene Personen und 55 unmündige Personen.
1825
Im Durch die Gründung der Marks-Haindorff-Stiftung in Münster verbessert sich auch das Leben vieler Burgsteinfurter Juden. Die Stiftung sorgt dafür, dass Juden u.a.Handwerksberufe erlernen können und finanziert deren Ausbildung.
1829
Nach der unsäglichen Episode des Lehrers Freudenberg, der in den Jahren 1824 – 1828 für Aufruhr und Empörung innerhalb der jüdischen Gemeinde sorgte, übernimmt der Lehrer Elias Marcus, der als Lehrer an der Marks-Haindorff-Stiftung ausgebildet wurde und ein Enkel des ehemaligen Vorstehers der jüdischen Gemeinde war, die jüdische Schule und wandelt sie innerhalb von wenigen Jahren in eine exzellente und von Christen durchaus bewunderte jüdische Elementarschule um.
1853
Durch ein Verbrechen seines Bruders Moses Marcus wird Elias Marcus, bislang hochgeschätzt in Gemeinde und Stadt, in Sippenhaft genommen. Infolgedessen flüchtet der ehemals geschätzte Lehrer aus Burgsteinfurt. Der Unterricht hat danach lange nicht mehr die Qualität wie zuvor.
Die Hohe Schule wird als Arnoldinum wiederbegründet. Unterstützer der von Bürgermeister Terberger geführten Initiative sind viele auch viele Juden wie z.B. Salomon Cohen, Feibes Itzig oder Joel Heimann.
1871
Durch die Reichsgründung werden auch Juden erstmals wirklich komplett rechtlich mit ihren christlichen Bürgern gleichgestellt.
1884
Der letzte jüdische Friedhof wird an der Gerichtstraße errichtet.
1887
Das Gebäude der jüdischen Schule , das heute noch existiert, wird unter Lehrer Salomon Braun errichtet.
1892
Aufgrund einer fälschlichen Beschuldigung, die an einen Vorfall von 1853 erinnert, wird Salomon Braun dazu gedrängt sein Amt als Lehrer und Kantor niederzulegen und aus der Stadt zu verziehen.
1893
Der erst 24-jährige Hermann Emanuel übernimmt den Posten des Lehrers und des Kantors und wird es die folgenden 49 Jahre bleiben.
1895
Mit knapp 231 jüdischen Einwohnern bei knapp 2500 Einwohnern in der Stadt Burgsteinfurt erreicht die jüdische Gemeinde ihren Höchststand. In der Folge sinken die Zahlen wieder.
1906
In dem noch als Rottorfeldmark bekanntem Gebiet (heute u.a. Bahnhofstraße und Goldstraße) werden die beiden Fabriken, die Juteweberei M.C. Wertheim und die Mazzenfabrik Joseph Marcus, errichtet. Zusammen bieten sie in Zukunft rund 120 Burgsteinfurtern einen Job.
Hermann Emanuel richtet im Auftrag der Stadt eine kaufmännische Berufsschule ein, aus der in der Folge das heutige Hermann-Emanuel-Berufskolleg an der Bahnhofstraße entsteht.
1909
Der ehemalige Stadtverordnete und aktuelle Vorsteher der jüdischen Gemeinde Joseph Marcus verstirbt. Kurz zuvor wird ihm noch der Preußische Verdienstorden IV. Klasse verliehen.
1914
Nach Ausbruch des Krieges ruft der Lehrer Emanuel innerhalb seiner Gemeinde die Männer auf, sich freiwillig zu melden. Frauen ruft er zu Diensten vor Ort als Krankenschwester oder Näherin auf.
1918
Im Krieg sind 4 jüdische Burgsteinfurter gefallen: Will Steinmann, Sally Meyer (1915), Benjamin Meyer (1917) und Otto Wertheim (1918). Bernhard Michel verliert 1918 beide Beine, Siegfried Meyer wird so schwer verletzt, dass er nach 1919 als geistig Schwerbehinderter nach Haus zurückkehrt.
1922
Die beiden hochgeachteten Personen Moritz Cohen (Bild) und Albert Heimann versterben kurz hintereinander. Cohen war stellvertretender Bürgermeister, Stadtverordneter, für die finanziellen Bereiche der Stadt zuständig, Gründer der Stadtsparkasse und ein erfolgreicher Kaufmann. Heimann war Mitbegründer der freiwilligen Feuerwehr, erfolgreicher Kaufmann und Vorsteher der jüdischen Gemeinde. Mit den beiden Personen verlor die jüdische Gemeinde große Vorkämpfer gegen den Antisemitismus.
Der neue Vorsteher der jüdischen Gemeinde, Benjamin Wertheim, lässt die Synagoge renovieren.
1925
In Burgsteinfurt gründet sich eine Ortsgruppe der NSDAP
1927
Die NSDAP-Ortsgruppe verstärkt die Propaganda innerhalb der drei Bauernschaften Sellen, Veltrup und Hollich.
1929
Die Weltwirtschaftskrise reißt u.a. auch die jüdischen Unternehmen mit sich. Die Unternehmen
S. Cohen, A. A. Löwenstein
und
Moses Steinmann
befinden sich in finanziellen Nöten.
1930
Die Propaganda der NSDAP in den Bauernschaften zeigen Wirkung. Moses Steinmans Geschäft mit landwirtschaftlichen Produkten bricht enorm ein.
Die Fabrikbesitzer der Mazzenfabrik Joseph Marcus, die Brüder Elias und Philipp Marcus, versterben innerhalb von 14 Tagen.
1932
Das Kaufhaus A. A. Löwenstein ist insolvent.
Durch die Brünningschen Notverordnungen wird die Jüdische Volksschule geschlossen und darf nur noch als Privatschule agieren. Lehrer Emanuel wird in Pension versetzt.
1933
Am 1. Januar 1933 leben nur noch 101 jüdische Personen in Burgsteinfurt und damit weniger als in den letzten 150 Jahre zuvor.
Bei den Reichstagswahlen am 5. März 1933 erreicht die NSDAP in Burgsteinfurt nur 27% der Stimmen (im Reich 43,9%). Sie ist damit zwar stärkste Partei, doch ihr Vorsprung vor dem Zentrum (25,1%) und der SPD (21,5%) ist gering. In den noch unabhängigen Bauernschaften, dem Amt Steinfurt dagegen erreicht die NSDAP dank ihrer Propaganda 76,9%, die SPD 5,3% und das Zentrum auf 5,4%.
Bei den Stadtverordnetenwahlen am 12. März 1933 zeigt sich, dass die NSDAP in Burgsteinfurt noch einen schweren Stand hat: Die NSDAP kam nur auf 19,1% der Stimmen (4 Sitze), die SPD auf 17,4% (3 Sitze), das Zentrum auf 26,4% (5 Sitze) und die Evangelische Liste auf 25,2% (5 Sitze).
Am 24. März stürmen SA-Männer die jüdischen Metzgereien und beschlagnahmen widerrechtlich die Schächtmesser. Kurz darauf erlässt der Bürgermeister ein allgemeines Schächtverbot.
Am 31. März, und damit einen Tag früher als im Reich, findet in Burgsteinfurt der Judenboykott statt.
Anfang Juni sperrt die Polizei auf Anordnung des Bürgermeisters die Juden widerrechtlich vom Viehmarkt aus.
1934
Der Fabrikant Alfred Wertheim beerbt seinen Vater im Amt des Vorstehers der Gemeinde.
1935
Die Juden werden durch ein Schild vom Besuch des Freibads ausgeschlossen.
Nachdem fast alle jüdischen Schüler vom Arnoldinum aufgrund von Anfeindungen abgegangen sind, meldet Adolf Buchheimer seinen Sohn Horst noch auf der Lehranstalt an.
1936
Julius Michel wird im Zuchthaus Lingen in den Suizid getrieben. Sein Vater erleidet daraufhin 14 Tage später einen Herzinfarkt und verstirbt ebenfalls.
1937
Die Familie Marcus und Levy fliehen in die Niederlande und nehmen einen Großteil ihres Privatvermögens mit. Gleichzeitig wird die Arisierung der Juteweberei M.C. Wertheim begonnen.
Nach einem zweijährigen Martyrium verlässt Horst Buchheimer als letzter jüdischer Schüler das Arnoldinum.
Karl Steinmann erpresst in seiner Hilflosigkeit die beiden jüdischen Kaufmänner Wertheim (Burgsteinfurt) und Hertz (Borghorst) und wird bei der Geldübergabe gefasst. Er wird zu 21 Monaten Haft verurteilt.
1938
Frühjahr: Der Rohproduktehändler Sally Michel wird der Hehlerei schuldig befunden und zu vier Monaten Haft verurteilt.
Da die bisherigen Maßnahmen erfolglos waren, geht man rigoroser gegen die Juden vor: Zwischen dem 28. und 30. Mai werden mit Ausnahme des Schuhgeschäfts Buchheimer alle jüdischen Gewerbetreibenden unter Gewaltandrohung bzw. Androhung eines Gerichtsverfahrens dazu gezwungen, ihre Geschäfte zu schließen. Einzig Adolf Buchheimer weigert sich und lässt sein Schuhhaus offen.
Da Adolf Buchheimer sich weigert, seinen Schuhhandel abzumelden, stellen sämtliche Schuhhändler der Stadt am 3. August 1938 einen Antrag, das Schuhhaus zu ihren Gunsten zu liquidieren. Der Antrag wird abgelehnt.
Die Pogromnacht startet am 10. November 1938 gegen 3:00 vor dem Schuhhaus Buchheimer. In der Nacht werden anscheinend alle Wohnungen und Häuser mit Ausnahme der Familie Michel, Humberg und Davids überfallen, demoliert und ausgeraubt. Die Hitlerjugend bewirft die beiden alten Witwen Rosa Cohen und Lina Radloski mit Steinen.
Am Morgen des 10. Novembers 1938 gegen 08:00 Uhr werden Georg Hirsch, Otto Hirsch, Adolf Buchheimer, August Herz, Sally Michel, Julius Meyer, Hermann Michel und der aus Horstmar kommende Karl Eichenwald in dem Turm in der alten Stadtmauer, der sogenannten Schluse, eingesperrt.
Am Mittag gegen 13:30 Uhr, nachdem der Propagandaminister die Einstellung aller Feindseligkeiten befohlen hatte, geht die Burgsteinfurter Synagoge in Flammen auf.
Am Abend des 10. November 1938 geht auch das Landhaus der Familie Herz in Flammen auf.
Am 12. November 1938 werden mit Ausnahme von Georg Hirsch alle Häftlinge entlassen. Die Polizei hatte unbewusst den Beteiligten das Leben gerettet, denn eigentlich sollten die Inhaftierten in das KZ Sachsenhausen eingeliefert werden. Da aber nur Georg Hirsch den Voraussetzungen entsprach (Unter 50 und nicht gebrechlich), wurde diese Plan fallen gelassen.
Das Reich erlässt eine Verordnung, nach den die Juden eine Sühneleistung von einer Milliarde Reichsmark auferlegt wird.
Im Dezember 1938 muss Sally Michel seine Haftstrafe absitzen. Auch das Ehepaar Buchheimer, das wegen Devisenvergehen zu vier Monaten Haft verurteilt wurde muss ihre Strafe antreten. Es hatte ihrem Sohn Kostgeld zukommen lassen, was damals nicht mehr erlaubt war. Nach ihrer Rückkehr flüchtet es in die Niederlanden.
1939
Seit der Pogromnacht kommt es zu einer Massenflucht aus Burgsteinfurt. Wer kann flüchtet in die USA, nach Chile, oder zumindest in die Niederlande. Zur gleichen Zeit etablieren sich in der Steinstraße 15, der Wasserstraße 25, dem Bütkamp 8 und An der Hohen Schule die ersten Judenhäuser. Außerdem müssen Juden Zwangsarbeit leisten.
Nach Kriegsbeginn dürfen Juden nur noch in drei Geschäften innerhalb von zwei Stunden einkaufen. Die Geschäfte lagen auf der Meteler Stiege, der Brückenstraße und dem Markt. Ein Verlassen der Stadt war nur mit Genehmigung erlaubt, ein Verlassen der Wohnung zwischen 16:00 und 06:00 Uhr verboten. Ihre Lebensmittelkarten enthielten kein Fleisch mehr und auch Kleiderkarten bekamen sie nicht mehr.
Ende 1939 leben in Burgsteinfurt nur noch die Eheleute Otto und Selma Hirsch, Max und Hedwig Hirsch, Hermann und Franziska Michel, die Witwe Paula Hirsch mit ihrer Tochter Ruth, die Schwestern Erna und Elly de Vries, die fünfköpfige Familie Felix Simons, die vierköpfige Familie Eichenwald, die drei Witwer Selig Wertheim, Hermann Emanuel und Isidor Meyer sowie die Geschwister Sally, Bertha und Ida Michel und den Eheleuten Humberg und die Witwe Gottschalk. Zusätzlich gab es noch das Ehepaar Charlotte und August Herz sowie die neunköpfige Familie von Moritz Sander, die als jüdisch versippt galt weil ein Ehepartner als Jude geboren wurde.
1940
Die Eheleute Herz schaffen noch die Flucht nach Brasilien, die Eheleute Humberg nach Kanada.
1941
Im Oktober begannen die Vorbereitungen für die Deportationen, die dafür in Frage kommenden Personen wurden erfasst. Es waren 34 Personen, von denen drei aber wieder gestrichen wurden: Moritz Sander, Anneliese Sander, Friedrich Sander.
Am 10. Dezember brachte man die ersten elf Juden nach Münster, einen Tag später folgten sieben weitere. Am 13. Dezember deportierte man sie von Münster in das Ghetto Riga.
1942
Am 24. Januar 1942 wurden sechs weitere Juden über Dortmund nach Riga deportiert.
Hedwig Feibes zieht im April aus Münster nach Burgsteinfurt und kümmert sich um die Witwe Gottschalk.
Am 27. Juli bringt man die restlichen sieben Juden nach Münster und deportiert sie in das Ghetto Riga. Zurück bleiben die als Halbjuden bezeichneten Kinder von Moritz Sander. Er selbst muss in einer Metzgerei außerhalb Burgsteinfurts Zwangsarbeit leisten.
1944
Nach dem Attentat auf Hitler werden Moritz Sander und zwei seiner Töchter von der Gestapo verhaftet und nach Münster gebracht. Während die Töchter nach einiger Zeit freigelassen wurden, brachte man Moritz Sander in das Arbeitslager Bettenhausen.
1945
Ostern 1945 wird Burgsteinfurt von den Briten besetzt.
Im Mai 1945 kehrt Hermann Michel als erster von insgesamt vier Personen zurück. Kurz darauf auch Moritz Sander.
1947
Mittlerweile befinden sich wieder sieben Juden in Burgsteinfurt: Hermann Michel, Johanna Simons und ihre Tochter Hannelore, Magda Levy, Kurt Sondermann, Helmut und Liesel Marx. Man neidet ihnen trotz ihrer Erlebnisse aber die Bevorzugung bei Essen und Wohnungszuweisung. Mit Ausnahme von Hermann Michel, der 1952 verstirbt, wandern alle anderen in den folgenden zwei Jahren nach England oder in die USA aus.
1952
Hermann Michel verstirbt an den Folgen seiner Tuberkuloseerkrankung, die er sich im Ghetto Theresienstadt zugezogen hat.