Inititative Stolpersteine Burgsteinfurt
Die Geschichte der
Familie de Vries begann mit der Ankunft von Joseph de Vries 1882 in
Burgsteinfurt. Joseph de Vries war gebürtiger Niederländer und hatte vermutlich
über einen Heiratsvermittler die Metzgerstochter Sara Michel kennengelernt, die
er am 30. Mai 1882 heiratete. Mit ihrem Mann bekam sie fünf Kinder: Sophie
(1883), Meyer (1884), Emma (1885), Elly (1887) und 1902 als letztes Kind, das
Nesthäkchen Erna. Um jene Zeit wohnte die Familie in einem Haus an der Hohen
Schule (damals Hausnummer 20), welches nur ein Stockwerk hatte und im unteren
Bereich zudem noch einen kleinen Lebensmittelladen existierte, in dem Joseph de
Vries u.a. auch Mazzen, Fisch und Gemüse anbot. Joseph nahm zusätzlich noch
einige Aufgaben innerhalb der Gemeinde an. So war er Schaumer und überwachte
die koschere Zubereitung der Matzen in der Mazzenfabrik Marcus, er war
Synagogendiener und Totengräber und auch eine Zeit lang der Schächter der
Gemeinde, ehe das sein Schwager Isidor Meyer bzw. dessen Sohn übernahm. Während
Meyer, wohl im Ärger mit seinem Vater, Burgsteinfurt in Richtung Gelsenkirchen
verließ, blieben die andere Kinder zuhause. Mit Ausnahme von Erna, die später
die Höhere Töchterschule besuchte und bis 1929 bei einer Bank arbeitete,
erlernte keine der Schwestern einen Beruf, sondern halfen im elterlichen
Geschäft aus. Emma heiratete und zog nach Berlin. Nach dem Ausbruch des
Krieges, bei dem auch ihr Mann eingezogen wurde, kehrte sie für einige Zeit
hochschwanger nach Burgsteinfurt zurück und gebar hier ihren Sohn Hugo. 1928
verloren alle Geschwister ihre niederländische Staatsbürgerschaft und mussten
die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen, die ihnen auch alle zugestanden
wurde. In der Pogromnacht griff man das Haus der Familie de Vries an und zerstörte
die Inneneinrichtung. Man warf Bettwäsche und sonstige Sachen auf die Straße.
Die Gewalttaten, die auch von Hitlerjungen begangen wurden, waren gar so
heftig, dass der Ortsgruppenleiter Wagener für die surreale Situation sorgte, dass SA-Posten die
Türen des Hauses bewachten, damit keiner mehr eindringen konnte. Das Ehepaar de
Vries, immerhin bereits 90 bzw. 81 Jahre alt, waren dermaßen schockiert, dass
sie am Folgetag fluchtartig Burgsteinfurt in Richtung Niederlande verließen.
Nur knapp 4 Monate später verstarb Sara de Vries. Ihr Mann, der mittellos war,
wurde von seinen dort lebenden Verwandten unterstützt. Sophie, die älteste
Tochter kam nach dem Tod ihrer Mutter ebenfalls in die Niederlande um sich um
ihren Vater zu kümmern. Erna und Elly dagegen blieben ebenfalls ohne Einkommen,
im Elternhaus zurück. In den folgenden Jahren ging es dann leider schnell:
zunächst wurden Ell und Erna de Vries am 10. Dezember 1941 nach Riga
deportiert, dann wurde Sophie irgendwann im September 1942 aus dem
niederländischen Oss über Westerbork nach Auschwitz deportiert. Am 19. Oktober
1942 wurde dann zunächst Emma Cohn von Berlin nach Riga deportiert, eine Woche
später ihr Sohn Hugo. Beide wurde bereits bei der Ankunft in den Wäldern
erschossen.
Am 22. Januar 1943 wurde
dann der 94-jährige Joseph de Vries aus dem Altenheim geholt und nach Auschwitz
deportiert. Sollte er nicht bereits auf der Reise verstorben sein, so wurde er
in Auschwitz bei der Ankunft ermordet. Während Elly de Vries spurlos im Ghetto
verschwand man das Schicksal nicht klären konnte, schaffte es Erna de Vries das
Ghetto und das Konzentrationslager in Riga zu überleben. Sie wurde im Oktober
1944 in das Konzentrationslager Stutthof gebracht, wo sich ihre Spur verliert.
Auch Meyer, der Sohn
der Familie, der in Burgsteinfurt noch keinen Stolperstein erhalten hat, wurde
mit seiner Frau und seinem Sohn Günther und deren Frau in Riga bzw. Stutthof
ermordet. Sein Sohn Heinz wurde im Ghetto Izbica ermordet. Überlebt haben nur
Emma Cohns Tochter Hertha und Meyer de Vries Sohn Werner.
Bilderquelle: Archiv Kiepker/Balzer, Burgsteinfurter Kreisblatt